Texter, Journalist und Autor Jürgen Bräunlein

German Angst – Die Deutschen und ihre Farben

(Vortrag anlässlich der Ausstellung von Gisela Serafin: „Jubel und Schattenblau“ konkrete Farbraummalerei,
Kunst in der Charité, 7.10.2005)

Meine Damen und meine Herren! Das Auge ist zum Farbensehen geboren. Zumindest das menschliche. Oder wussten Sie, dass fast alle Säugetiere keine Farben sehen können? Es ist also ein Privileg, dass für uns Zweibeiner die Natur nicht einfach farbloses biologisches Leben ist, sondern sich in Farbe zeigt. Und zwar sehr differenziert.

Spielend sind wir in der Lage über 160 verschiedene Farbtöne zu erkennen, das ist bei weitem mehr als eine Einteilung in schwarz weiß rot grün blau gelb. Und Psychologen meinen sogar, wir könnten, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, eine gute Million Farbnuancen voneinander unterscheiden. Unsere Sensibilität auf diesem Gebiet ist erstaunlich. Schade, dass wir das heute vor allem durch die Werbung bestätigt bekommen.

Wie Sie alle wissen haben Coca Cola Flaschen ein rotes Etikett. Dieses spezielle Rot steht seit über 100 Jahren für die Marke Coca Cola. Nun hat man herausgefunden: Wird dieser Farbton auch nur um eine Nuance verändert, mucken die Konsumenten auf. Ihnen schmeckt auf einmal ihre Cola nicht mehr.

Farben wirken auf unsere Sinne, aber eben nicht nur auf unsere Augen. Bei gleicher Zimmertemperatur empfinden Menschen Räume mit rot gestrichenen Wänden viel wärmer als Räume mit blaugestrichen. Eine gute Methode, Heizkosten zu sparen. Die Farben Rot und Blau eignen sind überhaupt gut dazu, um zu vorzuführen, wie tief Farben uns berühren und beeinflussen können. Lassen Sie mich noch ein Beispiel geben.  Rennpferde, die sich in roten Boxen aufhalten, werden schnell unruhig, tänzeln nervös, fühlen sich unwohl. Kommen sie hingegen in eine Box mit blauen Wänden finden sie wieder zur Ruhe.

Unsere Augen zum Farben sehen geboren. Aber was sehen wir, wenn wir uns umgucken?

Vor allem grau, braun, schwarz. Das sind die Farben unserer Straßen, unserer Städte und unseres protestantischen Arbeitsernstes. Der anthrazitgraue Nadelstreifenanzug ist die Uniform des Geschäftsmannes. Asphaltmode mit der sich den Wegen angleicht, auf denen er seine Geschäfte abwickelt.

Aber auch die Arbeiter des Medien- und Designbetriebes fürchten Buntes. Zumindest am eigenen Leib. Kreative aller Couleur halten hartnäckig am schwarzen Outfit fest, als befänden wir uns noch im Paris der Nachkriegszeit, als  Jean Paul Sartre und Juliette Gréco mit schwarzem Pullover  und ebensolchen Gedanken gegen das Bürgertum rebellierten. Noch auf jeder Theaterpremiere erkennt man heute den Regisseur an seiner Kleidung: schwarz, schwarz, schwarz.

Was bedeutet das? Im Mittelalter zumindest wählten Geistliche das Schwarz als Zeichen für ihre Entsagung von der Welt.

Bei den Frauen – meine Damen – sieht es im Allgemeinen leider kaum besser aus. Im Zuge der Emanzipation wurde der bunte, auch blumige weibliche Aufzug immer farbloser. Der Wunsch der Frauen nicht nur im Berufsleben wie Männer geschätzt und respektiert zu werden, führte hier zu Bubikopf und Herrenanzug. Das weibliche Businesskostüm von heute schließlich ist ein Abklatsch des männlichen. Grau, schwarz oder beige. Vielleicht noch dezent gemustert. Ähnlich wie die Strümpfe. Warum gibt es in den Strumpfabteilungen der Kaufhäuser paketweise graue Seidenstrümpfe, die sich lediglich in Nuancen unterscheiden?

Auch in der Küche und auf der Autobahn könnten unseren farbensüchtigen Augen die Tränen kommen: Geblümtes, Gestreiftes, bunte Karos und Bandmuster sind von Töpfen und Küchenablagen verschwunden. Als schick und vornehm gilt heute Stahl. Edelstahl. Dem entsprechen die verschiedenen Grautöne des Autolacks. Doch es heißt ja nicht mehr grau, sondern „metallic“. Oder die Entrées von Flughäfen, Banken und Großunternehmen: Sitzmöbel aus Stahl und Aluminium, wenn es hoch kommt mit braunen Schalen. Industriegrau, wohin man schaut, als Glaubensbekenntnis an den Fortschritt von Technik und Produktion.

Grau ist die Farbe unserer Zeit, stellte die Kulturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer kürzlich fest. Sie schrieb mehrere Texte zu den Farben in unserer Lebenswelt.

Grau – die Farbe unserer Zeit. Obwohl angeblich so unbeliebt, gibt sie die Folie unseres Lebens ab: Doch grau ist nicht nur eine pragmatische Farbe, sie ist auch eine, die Farben erst vernichtet.

Die Deutschen haben also ein gestörtes Verhältnis zur Farbe. Das meint auch die Design-Professorin Birgit Weller. Zu der im Ausland viel bestaunten Germany Angst gesellt sich ihrer Meinung nach, noch eine eine ganz spezielle Angst: Die „Farbangst“.

Die Unwilligkeit oder auch Unfähigkeit, das freie Spiel mit den Farben überhaupt erst aufzunehmen. Da flüchtet man lieber in die Askese, in die Gebärde der  Verweigerung: grau, schwarz, braun, beige.

Das es auch anders geht, zeigt der Blick in die Geschichte: Die französische Hofgesellschaft des 18. Jahrhunderts war geprägt von heiteren Pastellfarben. Auch das 19. Jahrhundert war bunt, wenngleich auch zwischen den Geschlechtern ungerecht verteilt. Dunkel gekleidet waren die Männer, farbenfroh und blumig das Gewand der Frauen.

Vielleicht sagen Sie jetzt, meine Farbenanalyse der Gegenwart ist völlig überspitzt, schließlich gibt es doch Orte des Alltags von geradezu erschlagender Buntheit. Und Sie haben Recht.

Seit Freud wissen wir, dass kein natürlicher Trieb auf Dauer zu unterdrücken ist. Und so verhält es sich auch mit unserem Drang, Farben sehen zu vollen. Das von uns Unterdrückte bricht sich auf andere Weise Bahn.

Im Kinderzimmer. Planschbecken, Plastikautos, Playmobil und Legostein. Hier brüllen einem die Farben lautstark entgegen. Giftgrün, Knallrot, Blitzblau, Knatschgelb. Dort trauen sich Erwachsene das, was sie sich selbst vorenthalten. Auch bei Gegenständen, die keinen hohen Wert genießen, gerät die Farbgebung geradezu rabiat. Sehr bunt sind Putzeimer, Zahnbürsten, Gefrierdosen, Strohhalme, Büroklammern.

Aber haben diese Farben Tiefe? Unsere Augen werden sofort davon angezogen, rutschen aber schnell darüber hinweg. Als spürten sie die seelenlose industrielle Fertigung.

Oder das Fernsehen: Da scheinen die Farben schier zu explodieren, so bunt geht es da zu – besonders während der Werbespots. Doch dort auf dem Bildschirm haben die Farben nicht nur ihre Unschuld verloren, sondern auch ihre  Basis. Nämlich die Verbindung von Farbton und Materialität, das ständige Spannungsverhältnis zwischen beidem. Und das ist das Entscheidende. Auf der Mattscheibe – der Name sagt es schon – sind nur noch Farben ohne Oberfläche geschweige denn Tiefe zu sehen. Sie faszinieren nicht mehr.

Wer aber soll uns die Faszination an den Farben zurückbringen? Wenn nicht die Kunst? Nicht wenige zeitgenössische Künstler haben sich von der Farbgestaltung verabschiedet. Sie halten Farben für verbrauchtes Material und setzen sich von diesem Thema ab, oft sehr radikal und auch polemisch.

Die Malerein Gisela Serafin geht einen anderen Weg. Sie greift nochmals nach den Farben. Sehr entschieden und sehr ernsthaft. Sie beginnt gewissermaßen nochmals bei null und es ist ihr gleichgültig, wie oft die Malerei schon tot gesagt wurde.

Ihre Bilder, von denen wir hier eine Auswahl aus 15 Jahren sehen, zeigen Farbkompositionen, die an keine Gegenstände mehr gebunden sind, die frei sind auch von Geschichten, aber nicht frei von Assoziationen.

Lasurdünne Schichten liegen aneinander, aufeinander, fließen ineinander. Das fertige Bild ist das Ergebnis eines Prozesses mit zwangsläufigen Unterbrechungen. Jedem Malvorgang folgt die Anschauung, bis die Farbe nach zwei Tagen getrocknet ist. Sie verdichten sich in ihrer Materialität, das Bild gewinnt Tiefe und an der Oberfläche Struktur: mal glänzend, mal stumpf, mal pelzig, mal schuppig. Irgendwann – nach einem Dutzend Malvorgängen vielleicht – ist das Bild fertig, weil es von der Künstlerin als stimmig empfunden wird. Wann das der Fall ist, weiß sie vorher nicht.

Beim Malen ganz von sich selbst abzusehen, allein die Farben zum Sprechen bringen, ja mit Hilfe der Farben tief in den Raum einzudringen – das ist die Aufgabe, die sich die Künstlerin, seit über 20 Jahren stellt. Sie nennt das „Konkrete Farb-Raum-Malerei“.

Natürlich funktioniert dieses „von sich selbst absehen wollen“ nicht wirklich – und das ist auch gut so. Die innere Bewegtheit der Künstlerin beim Malen ist in ihren Bildern immer sichtbar: Wolkige Flächen franzen aus, helle Ströme ergießen sich nach unten,  Pinselstriche verebben, Farbbündel zerfasern.

Unverkennbar hat die Künstlerin in den Farben Grün und Rot zwei Mitspieler entdeckt, die sie besonders gerne in den Bildraum setzt. Und denen sie immer andere Nuancen, Tönungen und Schattierungen abringt. Dabei überraschen ihre Bilder immer wieder mit Farbtupfern, die scheinbar wie Signale fremd in ihrer Umgebung liegen, bei genauerem Hinsehen sich dann aber doch integrieren in die Grundstimmung der Gesamtkomposition.

Die beindruckendsten Werke sind wohl nicht zufällig im Zentrum der Ausstellung zu sehen – im Rondell am Ende des Flurs.  Das eine strahlt uns schon von hier aus entgegen: Rot. Das Bild gegenüber – von hier aus sieht man es nicht – sollten Sie möglichst

bald betrachten. Es heißt, wie die Zeit des Tages, die nun angebrochen ist. „Blaue Stunde“. Übrigens: Wenn Sie das Rondell rechts durch die Tür verlassen, kommen sie zu einem Turm, für den die Künstlerin eigens ein Bildpendant geschaffen hat. Dort können Sie sich in einen Zustand versenken, der am tatsächlichen Ende des Tages, also am späten Abend, unstrittig zu bevorzugen ist. Das Fahnenbild trägt den Titel: „Turm sich auflösender Gedanken.“

Das Auge ist zum Farbensehen geboren, sagte ich zu Beginn. Und die deutsche Sprache ist wenig dazu geeignet, zu beschreiben, was wir da sehen. Gerade mal eine Handvoll Bezeichnungen fallen mir für Farben ein, das ist allzu kümmerlich. Deshalb ist es ja ein Unding von mir, hier zu stehen und über Farbkompositionen zu sprechen, zumal sie hier an der Wand hängen und von ihnen mit Muße betrachtet werden wollen.

Vielen Dank fürs Zuhören!

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