Visionäre Frau des Stummfilms
Das zwiespältige Leben der Thea von Harbou
Deutschlandradio Kultur 30.6.2004
„Sie schrieb im Sinn eines neuen Mediums, das sich anschickte, eine Weltmacht zu werden,“ urteilte der österreichische Regisseur Arthur Maria Rabenalt über Thea von Harbou.
„Sie schrieb Stummfilm: monumental, in großem Bogen, reich an phantasievollem Gepränge, starken Gefühlen und großen Gesten. Sie fühlte sich ganz dieser jungen szenischen Form verpflichtet. Das war damals eine erstaunliche Sache, die in ihrem Mut aus heutiger Sicht vielleicht nicht zu gewichten ist. Hochgeehrte Dichter der Zeit – Gerhard Hauptmann, Gabriele d’Annunzio und andere – taten es ihr nach. Und nicht mit größerem Erfolg!“
Geboren am 27. Dezember 1888 wächst Thea von Harbou auf einem ehemaligen Rittergut im oberfränkischen Tauperlitz bei Hof auf. Ihr Vater, Baron Theodor von Harbou, entstammt dem deutsch-dänischen Adel ist aber verarmt und arbeitet als Oberförster. Er verpasste den Anschluss an die wirtschaftlichen Veränderungen, die im Zuge der industriellen Revolution auch die Landwirtschaft erreichen. Später zieht die Familie nach Niederlössnitz bei Dresden. Trotz der bescheidenen finanziellen Verhältnisse – die Mutter vermietet Zimmer an einen englischen Pensionär – geniest Thea die Erziehung einer höheren Tochter. Sie besucht das angesehene Luisenstift, lernt Geige spielen, liest die Klassiker und schreibt bereits als Backfisch eigene Gedichte.
„Ich bin das Glück, ich bin die Phantasie.“
Romantisch, weltentrückt und hymnisch verzückt, so dichtet Thea „Mädchenlieder“, wie sie ihre Texte nennt. Schon früh hat sie einen Hang zu Mystik, Märchen und Legenden. Der Held ihrer Kindheit ist Winnetou, der große Häuptling der Apachen. Die jugendliche Schwärmerei steigert sich zur Obsession.
„Lange Jahre trug ich oberhalb meines linken Handgelenks mit Nadeln tief eingeritzt ein lateinisches „W“.“
Thea von Harbou wendet sich der Belletristik zu. Schreibt Heimatromane, schwülstig-vaterländische Novellen, exotische Märchen. Und immer wieder Geschichten über Frauen, die sich selbstlos aufopfern. Ihre Bücher werden Bestseller. „Das indische Grabmal“, 1917 erschienen, erreicht 50 Auflagen, „Die Nibelungen“ sogar über 70. Trotz ihrer Erfolge als berufstätige Frau ist sie in ihrer Ehe wenig emanzipiert. Alle Briefe, die sie bekommt, legt sie ihrem Mann vor, auch bestimmt er über den Wohnort. 1918 zieht das Paar nach Berlin. Dort greift die Welt des Films nach Thea von Harbous Romanen. Es sind ideale Stoffe, um der noch junge Kunstform zum Erfolg zu verhelfen. Der mächtige Filmproduzent Joe May beschäftigt Thea von Harbou als Drehbuchautorin. Bei ihm trifft sie Fritz Lang. Der 30jährige Wiener mit dem markanten Monokel im linken Auge hat jahrelang als Maler in der Pariser Bohème gelebt und gerade als Filmregisseur debütiert. Beide mögen sich auf Anhieb und bewundern das Talent des anderen. Die Symbiose beginnt.
Schon der dritte gemeinsame Film, „Der müde Tod“, bringt 1922 den Durchbruch. Das Drehbuch von Thea von Harbou trifft die Gefühlslage Hunderttausender Menschen im Nachkriegseuropa. Wenn in dem märchenhaften Melodram die junge Frau vor dem Tod auf die Knie sinkt, um den ihr entrissenen Bräutigam zurückzuverlangen, erkennen unzählige Frauen ihr eigenes Leid.
Über zehn Jahre lang arbeiten Thea von Harbou und Fritz Lange zusammen: Sie liefert das Drehbuch, er verfilmt es. Und ihre Drehbücher sind wie handwerklich tadellose gebaute, aber zugleich ausschweifend-kühne Partituren, an denen sich Fritz Langs visuelle Phantasie entzünden kann. Für Thea von Harbou sind es ihre produktivsten Jahre. Zwischen 1920 und 1925 schreibt sie 17 Drehbücher, darunter auch für Friedrich Wilhelm Murnau und Carl Theodor Dreyer, die anderen zwei großen deutschen Stummfilmregisseure der Zeit. Doch ihre Welterfolge hat sie mit Fritz Lang, den sie 1922 auch heiratet.
Die Premiere von „Die Nibelungen“ wird 1924 ein gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges. Hohe Regierungsbeamte der Weimarer Republik nehmen daran teil, Außenminister Gustav Stresseman hält eine Tischrede. In ihrem Anliegen sind sich Fritz Lang und Thea von Harbou einig: Mit der Verfilmung des berühmtesten deutschen Heldenepos wollen sie das Nationalbewusstsein der Deutschen stärken, die unter dem verlorenen Krieg und dem Friedensdiktat des Versailler Vertrags leiden. Was sie noch nicht wissen können: „Die Nibelungen“ wird später ein Lieblingsfilm von Adolf Hitler sein.
Auch für den Film „Metropolis“ liefert Thea von Harbou die Vorlage. An dem Mammutprojekt sind 36 000 Komparsen beteiligt, die Dreharbeiten dauern zwei Jahre. Gezeigt wird eine Zukunftsstadt, in der Arbeiter wie Sklaven ausgebeutet werden, während in der Oberstadt eine Minderheit im Luxus lebt. Die beängstigende Vision wird durch eine sentimentale Liebesgeschichte aufgehoben. Besonders die futuristische Kulisse und die Massenszenen beeindrucken die Zeitgenossen.
„Was für eine begeisternde Symphonie von Bewegung! Wie singen die Maschinen, wunderbar durchsichtig im Zentrum, durch die elektrischen Entladungen Triumphbögen gleich!“,
schrieb der spanische Regisseur Luis Bunuel.
„Das äußerst lebhafte Funkeln des Stahls, die rhythmische Abfolge von Rädern, Kolben, von noch nicht erschaffenen mechanischen Formen, dies ist eine bewundernswerte Ode, eine ganz neue Poesie für unsere Augen.. Selbst die Zwischentitel, die auf- und absteigen, sich drehen, bald in Licht zerlegt werden oder in Schatten verschwinden, vereinigen sich in der allgemeinen Bewegung und werden selbst Bilder.“
Wie kein anderer Film von Fritz Lang und Thea von Harbou, wird Metropolis mit den Jahren ein Kultfilm. Er begründet in Deutschland ein neues Filmgenre: die Science-Fiction. Als prominentes Künstlerpaar der Weimarer Republik führen Fritz Lang und Thea von Harbou ein glamouröses Leben und prägen das Bild von den „Goldenen Zwanziger“ mit. Im schneeweißen Mercedes kurven sie unter den Linden entlang. Abends repräsentieren sie im Adlon, bei Boxkämpfen oder auf Theaterpremieren. Immer wieder gibt das Paar verschwenderische Feste. Die Schauspielerin Lil Dagover erinnert sich später:
„Für mich war Fritz Lang eine der elegantesten Figuren der damaligen Szene. Wenn er – groß, sportlich, immer das Monokel im Auge – neben der schönen, gescheiten und witzigen Thea einen Ballsaal betrat, dann standen beide sofort im Mittelpunkt: sie waren ein Paar, das man einfach nicht übersehen konnte.“
Doch die Rollen scheinen ungleich verteilt.
„Ich bin die Frau von Fritz Lang – mehr brauche ich Ihnen hoffentlich nicht zu sagen,“
sagt Thea von Harbou knapp über ihre künstlerische Arbeit. In den Augen der Öffentlichkeit gilt sie lediglich als „Muse“ ihres Mannes. Oder man nennt sie spöttisch
„die Cosima von Babelsberg“.
In Anspielung auf Cosima Wagner, die vergeblich Einfluss auf Richard Wagner nehmen wollte. Die Wahrheit im Fall von Thea von Harbou ist aber eine andere: Fritz Lang verlässt sich vollständig auf die Drehbücher seiner Frau. Er verfilmt sie ohne nennenswerte Änderungen. In der Filmindustrie der Weimarer Republik, die von Männern dominiert wird, ist Thea von Harbou die einzige Frau mit großem Einfluss. Bei jedem Stadium der Verfilmung ihrer Bücher ist sie mit dabei. Vor allem am Filmset. Sie sitzt abseits im Soufflierkasten, flüstert ihrem Mann diskret die Texte zu. Während Fritz Lang, ein Egomane und Despot, seine Schauspieler immer wieder verärgert, bemüht sich Thea von Harbou um Ausgleich. Wenn ihr Mann tobt oder rast, was oft genug der Fall ist, vermittelt sie.
Als Fritz Lang während der Dreharbeiten von „Frau im Mond“ mit der Hauptdarstellerin eine Affäre beginnt, kommt es zum Bruch. Die Arbeitsgemeinschaft bleibt jedoch weiterhin bestehen und auch die gemeinsame Wohnung. Die endgültige Trennung geht später von Thea von Harbou aus, die sich in einen indischen Wissenschaftler verliebt, der fast 20 Jahre jünger ist als sie. „Das Testament des Dr. Mabuse“ wird die letzte gemeinsame Arbeit der Eheleute. Für Lang ist der Film eine Allegorie auf Hitler. Tatsächlich wird der Film verboten und erlebt seine Premiere in Deutschland erst 1951.
Noch vor der Machtübernahme durch Hitler haben sich die Eheleute auch politisch voneinander entfremdet. Thea von Harbou tritt der NSDAP bei. Nationalismus und soziales Engagement – ihre zwei wichtigsten gesellschaftspolitische Anliegen – glaubt sie bei den Nazis gut vertreten. Fritz Lang ist sich längere Zeit unschlüssig, wie er sich verhalten soll, bis er schließlich im Juli 1933 emigriert. Das Paar ist mittlerweile geschieden. Nach einer Zwischenstation in Paris, lässt sich Fritz Lang in Kalifornien nieder.
Thea von Harbou setzt ihre Karriere im Dritten Reich bruchlos fort. Sie schreibt Drehbücher für Heinz Rühmann und Wolfgang Liebeneiner. Aber auch für Veit Harlan, dem Regisseur des antisemitischen Hetzfilms „Jud Süss“. Die Filme, die jetzt entstehen, sind kommerzielle Dutzendware ohne künstlerischen Anspruch. Thea von Harbou passt sich ideologisch an, schreibt etwa Drehbücher, in denen Leitfiguren angehimmelt werden, ist aber niemals an einem reinen Propagandafilm beteiligt – ganz im Gegensatz zu Leni Riefenstahl, neben der Harbou die erfolgreichste Filmschaffende unter Hitler.
„Thea glaubte alles, was die Nazis versprachen“,
sagte Fritz Lang später, äußerte sich ansonsten aber nie mehr über seine Frau. Der Regisseur Arthur Maria Rabenalt urteilt:
„Thea von Harbou war weniger ein politischer als ein kinematographischer Mensch. Das ist eine eigene Spezies. Sie hat den scharfen, bildbesessenen Blick, der sich verengt auf Einstellungen, der sich weitet zu Panoramen, Schwenks, Totalen, ein Blick, der die optischen Perspektiven erkennt, nicht jedoch immer die geistigen und die tieferen Gründe. Er besitzt selten einen politischen Über-Blick.“
Während des Dritten Reiches meldet sich Thea von Harbou politisch nicht zu Wort, auch ist sie auf öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr so präsent. Nach dem Krieg kommt sie in Internierungshaft. Sie wird als unverbesserliche „Nazisse“ abgestraft, während Fritz Lang als guter Demokrat glorifiziert wird. Beide Urteile sind in ihrer Überspitzung falsch. 1950 gelingt Thea von Harbou ein Comeback im deutschen Nachkriegsfilm. Sie schreibt Drehbücher für das Kino-Traumpaar Maria Schell und Dieter Borsche. Eine Heimatschnulze und ein Arzt-Melodram. Wieder passt sie sich fast chamäleonartig den veränderten Publikumswünschen an. Phantasie und Fabulierfreude sind für Thea von Harbou auch jetzt wichtiger als die objektiven Gegebenheiten der Realität. Dazu passt ihre Mitgliedschaft in der deutsch-asiatischen Gesellschaft in den 50er Jahren. Sie hält Vorträge über Indien, obwohl sie nie dort gewesen ist.
Am 1. Juli 1954 stirbt Thea von Harbou 65-jährig an einem Herzschlag. Einige Tage zuvor war sie gestürzt, als sie auf den Berliner Filmfestspielen der Wiederaufführung des Filmes „Der müde Tod“ beiwohnte. Fritz Lang, ihren kongenialen Gefährten, hat sie nie mehr wieder gesehen, obwohl er in den 50er Jahren noch öfter nach Berlin gekommen ist.
Jürgen Bräunlein
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