Texter, Journalist und Autor Jürgen Bräunlein

Macher der perfekten Marke

Der Werbeguru Sebastian Turner

Rheinischer Merkur vom 3.4.2008

Was an Sebastian Turner sofort ins Auge springt, ist seine Unauffälligkeit. Die Haare sind kurz geschnitten und gescheitelt. Das Gesicht ist rundlich, der Teint blass und die Brille rahmenlos. Dazu trägt er einen gedeckten blauen Pullover mit Reißverschluss und eine  beige Hose mit Bügelfalten – auch das lässt wenig Modebewusstsein erkennen. So unscheinbar wirkt Sebastian Turner, dass man fast davon überzeugt ist, einer Camouflage aufzusitzen. Denn ausgerechnet dieser Mann sagt Sachen wie diese: „Gewöhnliches wird nicht beachtet.“

Sebastian Turner ist einer der einflussreichsten Werber Deutschlands, der Vertreter einer Branche, die doch vom Glanz der Oberfläche und der Verführungskraft des Äußerlichen lebt und natürlich vom Kult um Marken. Turner leitet Scholz & Friends, die Werbeagentur mit Hauptsitzen in Berlin und Hamburg und 30 Büros europaweit. Gerade wechselte der 41-Jährige vom Vorstandsvorsitz der Scholz & Friends-Gruppe in den Aufsichtsrat der Muttergesellschaft Commarco, bleibt aber Gesellschafter der Agenturgruppe und weiterhin verantwortlich für die großen Werbeauftritte und Imagekampagnen illustrer Großkunden. Für die FAZ kreierte Turner den legendären Satz „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“, mit dem Top-Prominente für die Zeitung warben – allerdings zur Unkenntlichkeit versteckt hinter den aufgeschlagenen Seiten. Auch der geniale Slogan „Wir können alles außer Hochdeutsch“ für den Standort Baden-Württemberg stammt von ihm. Und vor zwei Jahren ließ er die nackte Claudia Schiffer in die Deutschlandflagge einwickeln und plakatierte das Ergebnis mit der Unterzeile „Invest in Germany, Boys.“ Frau Schiffer war Botschafterin für „Deutschland – Land der Ideen“, der Imagekampagne zur Fußball-WM. So verewigte sich Turner, der Unscheinbare, unerkannt im Gedächtnis von Millionen Menschen.

Schon vor Jahren nannte ihn „DIE ZEIT“ „einen Werbepapst“ und das „managermagazin“ „einen Profi im Plüschtierformat“. „Aber ich trage gar kein Plüsch, wie Sie sehen.. “, bemerkt Sebastian Turner trocken. Er spricht mit leiser, unaufgeregter Stimme, die während des gesamten Gespräches kaum lauter wird.  Auch die Scholz & Friends-Niederlassung in Berlin ist das Gegenteil von schrill. Das weiträumige Loft im dritten Stock mit Glaswänden und Sichtmauerwerk ist mehr funktional als edel und verbreitet einen kühlen Charme. Kreativität wird wohl im Kopf stattfinden. Gelb ist das Logo, gelb ist auch die Lockfarbe der Agentur. Überall blitzt Gelbes auf – oft versteckt und erst auf den zweiten Blick erkennbar. Hier die Rücken der Leitzordner, dort ein Locher, da ein Regenschirm. Understatement, wie es dem Chef gefällt. Der Ort ist historisch. Hier in der alten Lokfabrik an der Chauseestraße 8 konstruierte August Borsig anno 1841 die erste Lokomotive für Berlin. Jetzt hausen im Gebäude die Dienstleister des Digitalen. Softwareentwickler, Filmproduzenten und Kreative aller Couleur. Die Mieten sind für die gute Lage in Berlin-Mitte noch relativ günstig. Das Gesparte kann einen Hinterhof weiter im „Speisezimmer“ von Promi-Köchin Sarah Wiener ausgegeben werden.

1966 in Clausthal-Zellerfeld im Harz geboren wurde Sebastian Turner schon früh vom Gründergeist infiziert. Vorbilder gab’s nicht. „Wir hatten keine Unternehmer in der Familie, nur ganz früher Bauern.“ Eine von ihm geleitete Schülerzeitung bezeichnet Turner als sein „erstes kleines Unternehmen“. Nach dem Abitur gründete er 1986 die heute noch existierende Medienfachzeitschrift „Medium Magazin“ – „Für junge Journalisten“, wie es im Untertitel hieß. Im damaligen Impressum tauchte der Name Kai Diekmann auf, auch aus ihm wurde – wie man weiß – eine große Nummer.

Sebastian Turner studierte Politologie, Betriebswirtschaft und Wirtschaftsgeschichte in Bonn, die Masterprüfung legte er in Amerika ab; nach der Wende trieb ihn der Pioniergeist in den wilden Osten. Mit den Freunden Thomas Heilmann und Olaf Schuman eröffnete er in Dresden eine Werbeagentur – schnell konnte man die westdeutsche Werbeagentur Scholz & Friends als Partner gewinnen und deren prestigeträchtigen Namen übernehmen. Für Turner war das kein Bruch in der Berufsbiografie, blieb er doch „im Bereich des Kommunikationswesens“.  Rein praktische Erwägungen gab es auch: „Eine journalistische Unternehmensgründung hätte unsere finanziellen Möglichkeiten völlig überfordert. Wir hatten ja nichts. Aber eine Werbeagentur konnte man so anfangen.“ Die ersten Monate waren abenteuerlich. „Manchmal mussten wir eine Stunde auf ein Gespräch warten, weil es so wenige Telefonanschlüsse in Dresden gab. Auch saß man ewig im Zug. Von Hamburg nach Berlin war man damals über vier Stunden unterwegs.“ Der Erfolg kam schnell, es folgte die Eröffnung einer Dependance in Berlin, Turner arbeitete sich an die Firmenspitze hoch. „Ich dachte anfangs, ich würde vielleicht 5 Jahre in der Werbung bleiben, mittlerweile sind es schon 18…“

Unwahrscheinliche 30 Milliarden Euro werden pro Jahr in Deutschland für Werbung ausgegeben. Wozu dieser Aufwand, wenn 95 Prozent davon, wie zu lesen ist, gar nicht richtig wahrgenommen wird? Eine Frage, die Sebastian Turner schon oft gehört hat. „Wie viel Prozent von einer Zeitung wird denn gelesen?“, fragt er zurück, um dann fortzufahren, Punkt für Punkt. „Ein erheblicher Teil der Werbung ist nicht gut genug gemacht.“ Zweitens: „ Eine Marke, die sich nicht immer wieder ins Gedächtnis bringt, droht ins Vergessen zu geraten. Wer weniger wirbt, verliert Marktanteile.“ Zudem wirke Werbung eben oft unbewusst. „Stellen Sie sich vor: Auf einmal geht Ihr Auto kaputt und Sie brauchen ein neues und schon arbeiten in Ihrem Kopf die ganzen Werbinfos über Autos, die sie irgendwo aufgelesen haben…“

Wer Sebastian Turner fragt und gut zuhört, kann viel lernen. Zum Beispiel einen Schnellkurs darüber absolvieren, wie Werbung wirkt. „Die Leute sagen tatsächlich, dass ihnen eine Suppe von einer bekannten Marke besser schmeckt als dieselbe Suppe von einem unbekannten Hersteller.“ Man kann das komisch finden oder erschreckend, aber eben auch einfach nur nüchtern kommunizieren, wie Turner es tut. Sein Vermögen im analytischen Zerpflücken aktueller Slogans ist bewundernswert. Er erklärt, wie die Werbekampagne „Geiz ist geil“ den Nerv der Zeit getroffen hat und kann ebenso darlegen, dass Werbung heute auch nicht unmoralischer oder rückschrittlicher ist als die Gesellschaft, für die sie produziert wird. „Früher gab es in der Werbung Frauen, die ein schlechtes Gewissen hatten, weil ihre Männer kein weißes Hemd anhaben. Heute muss Wäsche immer noch weiß und sauber sein, aber selbst in der Werbung definieren sich Frauen nicht mehr über den Status des Mannes.“

Längst haben die Kreativen hierzulande den Anschluss an die Weltklasse geschafft. Nach dem neuesten Won-Report, der das Abschneiden der Agenturen bei allen internationalen Werbefestivals vergleicht, ist die kreativste Werbeagentur der Welt, sogar eine deutsche: die Hamburger Agentur Jung von Matt. Scholz & Friends rangiert auf Platz fünf. Nicht wenige bedeutende Werbeagenturen in Deutschland haben in den letzten 30 Jahren aufgeben müssen. „Manche existieren nur noch als Schatten ihrer selbst wie Springer & Jacoby“, sagt Sebastian Turner fast ein wenig lästernd.

Scholz & Friends hat bisher alle Krisen gemeistert. Nachdem das Unternehmen zwei Jahre an der Börse notiert war, ist man vorsichtshalber wieder ausgestiegen – wohl keine Entscheidung für immer. „Unter Angst arbeiten die meisten Leute schlecht, deshalb muss man Unternehmen so organisieren, dass das Thema Angst weitgehend vermieden wird, ganz wegkriegen wird man das Gefühl aber nicht“, erklärt Turner, „Ich selbst versuche das Unternehmen immer etwas kleiner zu halten, als es sein müsste. Dafür muss man zwar Überstunden in Kauf nehmen, andererseits aber auch nicht jeden Auftrag annehmen.“

Sebastian Turners gehört dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages an. Ob es tatsächlich so etwas wie ein Comeback von Glauben und Religion gibt, wagt er zu bezweifeln. Natürlich, so sagt er, könnten auch die Kirchen besser kommunizieren: „Kaum eine Institution hat so qualifizierte kommunikationsfähige, inhaltsstarke Vertreter nach außen.“ Noch mehr beschäftigt ihn derzeit die Bildungsfrage. „In Deutschland werden Leistungsstandards negativ gesehen, weil man denkt, sie könnten gesellschaftlich ungerecht wirken. Ich halte das für absolut falsch“. Und er erzählt von seinen aktuellen Erfahrungen an der Universität der Künste in Berlin, wo er „Gestaltung“ unterrichtet: „Ich bin schockiert, wie dort die Noten verteilt werden. Einmal kam eine weinende Studentin zu mir, weil ich ihr eine Drei gegeben habe, dabei hätte sie damit in Baden-Württemberg nicht einmal das Abitur geschafft.“

Die eigene Branche sieht er in „einer Revolutionsphase“, die große Herausforderungen und manche Umstellung mit sich bringt. Vor allem die Interaktivität, die das Internet ermöglicht, wird Werbung nachhaltig verändern. „Ich bin nicht mit dem Internet aufgewachsen und werde wahrscheinlich nie die Internetaffinität haben wie die ganz jungen. Aber ich kann sehr genau zuhören und von anderen lernen. Auch erneuern wir unsere Agentur ständig und stellen jüngere Mitarbeiter ein.“

Aber was passiert mit den „alten Köpfen“, die dem galoppierenden Fortschritt gerade in Trendbranchen wie der Werbung nicht gewachsen sind? Für die Frage, ob nicht manche Menschen vom „lebenslangen Lernen“ überfordern sein könnten, fehlt Turner jedes Verständnis und er, der seine Emotionen so zurückhält, gerät dabei fast ein bisschen in Rage. „Es ist nur eine Frage der Bequemlichkeit oder auch der Überheblichkeit. Es ist absoluter Quatsch, dass man nicht immer wieder Neues erlernen könnte.“ Es klingt beinah zu schön, um wahr zu sein, wenn er dann sagt: „Es gibt keine unkreativen Menschen. Jeder Mensch kommt kreativ auf die Erde. Es kann nur sein, dass Leute sich das abtrainieren und das muss man eben verhindern.“ Und dann wird Sebastian Turner doch noch etwas persönlich: „Mein Vater kommuniziert mit meinem Sohn über Email, und er hat es erst nach seinem Berufsleben gelernt. Sein Enkel hat ihm dabei geholfen.“

Bei der Verabschiedung kickt Turner, der Unscheinbare, einen Minifußball durch die Agenturräume und schießt ihn über den Tresen zu einem der dort stehenden Mitarbeiter, der ihn lächelnd auffängt. Man kann nicht anders als erstaunt sein über diesen plötzlichen Temperamentsausbruch, kann sich aber auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Sebastian Turner genau diese Wirkung beabsichtigt hat. Als hätte er diesmal nicht für ein Produkt, sondern für sich selbst geworben.

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