„Schwerkraft und Haltbarkeit sind unsere Gegner“
Die Bildhauer Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff.
Radio Berlin Brandenburg (SFB) 2. Juni 2003
Martin Matschinsky-Denninghoff: Wir haben in den 70er Jahren am Sipplinger Berg die große Skulptur aufgestellt, die ist zehn Meter lang, die haben wir hier in Berlin in unserer Werkstatt in der Pestalozzistraße gefertigt, die ist aber so groß gewesen, die konnten wir hier in Berlin nie ganz sehen. Wir haben die also zum ersten Mal gesehen an Ort und Stelle, als sie dort aufgebaut wurde. Ich weiß heute noch den Moment, wo sie stand, es waren vier Teile, wir haben uns angeguckt und uns kamen die Tränen, weil wir gespürt haben, was wir da gemacht haben, ist in Ordnung, das können wir vertreten… (Brigitte) Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei irgendeiner Ausstellung ein Gefühl solchen Glückes gehabt habe. Aber diese Momente, wo die Sache, an der man Monate lang gearbeitet hat, plötzlich fertig dasteht, und man sieht, ja es ist in Ordnung… Das ist ein unglaubliches Glück. Es dauert auch nur kurz. Es sind Sekunden.
Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff sind Bildhauer. Seit 48 Jahren leben und arbeiten sie zusammen. Ein Künstlerpaar, dessen Name weniger bekannt sein mag als seine Großskulpturen aus Chromnickelstahl, die nicht zu übersehen sind. Sie prägen den öffentlichen Raum in der Bundesrepublik. Die Skulpturen stehen in Augsburg und in Athen, in Heidelberg ebenso wie im japanischen Kanazawa, und vor allem in Berlin, wo das Paar lebt.
Brigitte Matschinsky-Denninghoff: Ich habe überhaupt nicht darüber nach gedacht, ob man als Frau dafür geeignet ist. Ich habe auch überhaupt nicht darüber nach gedacht, wovon ich später meinen Lebensunterhalt bestreiten würde. Sie müssen sich vorstellen, dass war eine Zeit im Krieg und auch nach dem Krieg, wo man völlig anders dachte, als jetzt, Geld spielte keine Rolle, weil man sowieso nichts dafür bekam.
Die Begeisterung für die Bildhauerei beginnt bei Brigitte Meier-Denninghoff früh. Der Großvater, ein Bauingenieur, weckt erstes Verständnis für technische Zusammenhänge. Auch die Mutter nimmt das Kunstinteresse der Tochter mit Wohlwollen auf. 1943, da ist sie gerade 20 Jahre alt, besucht Brigitte Meier-Denninghoff die Kunsthochschule in Berlin. Zu Arno Breker, der dort lehrt und von den Nationalsozialisten gefördert wird, möchte sie aber nicht. Sie zieht Wilhelm Gerstel als Lehrer vor. Bombenangriffe beenden das Studium, das sie nach dem Krieg in München fortsetzt. Doch nur für kurze Zeit. Die Studentin fühlt sich in dem akademischen Betrieb in ihrer Entwicklung gebremst. Sie verlässt die Hochschule, um frei zu arbeiten. Zunächst mit Holz, Stein und Terracotta
Brigitte: Ich hatte 1948 oder 1947 ein paar abstrakte Tonarbeiten gemacht und die trug ich zu einer Brennerei in München und die haben mich angeschaut, so dass ich wirklich Angst bekommen hab. Ich dachte, die rufen in Haar an, das ist die Irrenanstalt in München, um mich abholen zu lassen. Also ich sag das nur, um das damalige Klima zu beschreiben, also mit dem, was wir machten, und was wir dann 1955 anfingen gemeinsam zu machen, tat man sich damals noch schwer. Und da hatte auch kein Mensch in Deutschland je von Henry Moore gehört. Und das ist auch etwas, was man sich heute schwer vorstellen kann. Wie wenig Informationen wir hatten. Im Theater war es genauso. Also Sartre und Giraudoux waren in Deutschland nie gespielt worden. Deshalb erlebte das deutsche Theater auch diese Blüte nach dem Krieg. Weil plötzlich so viel neuer Stoff vorhanden war. In der Bildenden Kunst war es ebenso. Und ich hatte meine erste Begegnung mit Henry Moore, weil mir ein englischer Freund ein Buch über Henry Moore in die Hand drückte, was mich unerhört aufregte, weil das einfach alles über den Haufen warf, was ich vorher an Bildhauerei gesehen hatte.
Die angehende Bildhauerin assistiert bei Henry Moore in England, später dann bei Antoine Pevsner in Paris. Damit lernt sie die zwei grundsätzlichen bildhauerischen Positionen der Nachkriegsmoderne kennen, die auch später das Werk von Matschinsky-Denninghoff prägen werden. Henry Moore steht für eine plastische, organisch wirkende Formensprache, die aus der Natur entwickelt wird. Der Franzose Antoine Pevsner hingegen ist Konstruktivist. Er setzt seine Skulpturen, geleitet von technisch-mathematischem Denken, aus einzelnen Teilen zusammen und stellt sie fast schroff in den Raum. Dabei verwendet er Industrieprodukte wie Stahl und Glas. In der Bildhauerei damals eine Revolution. Doch bevor Brigitte Meier-Denninghoff das Erfahrene in der eigenen Arbeit umsetzt, absolviert sie ein Zwischenspiel beim Theater, arbeitet als Bühnenbildnerin in Darmstadt. Dort lernt sie 1952 den Schauspieler Martin Matschinsky kennen. Er wird ihr Partner – bald auch in der Kunst. Beide ziehen nach München.
Martin: In Schwabing fing dann die eigentliche Arbeit an. Da haben wir zusammen die heute noch angewandte Technik, die Reihung der Stäbe und Rohre, haben wir dort zum ersten Mal – ich würde fast sagen – erfunden. Ich meine, Pevsner hatte diese Technik auch schon gehabt, aber in einer anderen Form hat er sie dann benutzt, während wir haben lose Stäbe und Rohre aneinander gelötet. Da haben wir unser Handwerkszeug zusammen gesucht, mit ganz kleinen Sachen fing das an. Ende der 50er Jahre… Wir gehörten damals schon zu dem kleinen Kreis in Deutschland, die ungegenständlich, sogenannt abstrakt gearbeitet haben. Man kannte sich, immer wenn jemand neues dazu kam, war man ganz erfreut, noch einer, der so arbeitet, wie wir alle.
Dünne Messingstäbe, die aneinander gelötet werden. Es entstehen keine kompakten, plastischen Formen, sondern offene Strukturen. Fächerartige abstrakte Gebilde, die spitz nach oben ragen. Man kann darin das bildhauerische Pendant zur zeitgleichen informellen, abstrakten Malerei sehen.
Brigitte: Also der Vorzug von dem Metall, wie wir es verarbeiten, ist, dass man sehr dünnwandige Formen machen kann. Was man in Stein nicht kann, in Holz nicht kann. In wirklich keinem anderen Material kann… (Martin) Sensible Formen, dünne Formen, leichte Forme, alle diese Dinge spielten da eine Rolle. Aber das war nicht der Auslöser, weil wir dachten, wir suchen ein Material, um das, was ich eben erwähnte, machen zu können. Jeder Bildhauer sucht sich mit den Jahren sein Material heraus. Das ergibt sich. Und für uns war eben das Metall unser Material. Es hat angefangen mit Messing und Zinn, später kam dann Chromnickelstahl hinzu..
1959 bekommt das Künstlerpaar den Prix Bourdelle, ein renommierter Preis, der das Andenken an den französischen Bildhauer Antoine Bourdelle fortsetzt.. In der Jury ausschließlich namhafte Bildhauer: Darunter Henry Moore, Germaine Richier und Hans Arp. Für Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff ist dieser Preis der internationale Durchbruch. Es folgt die Teilnahme an der Documenta und an der Biennale.
Martin: Das war natürlich ungeheuer aufregend, wenn man Deutschland auf der Biennale vertreten kann, im deutschen Pavillon waren wir der Mittelpunkt. Aber das war einem gar nicht so bewusst, man war so befrachtet mit Emotionen, mit Komplimenten, und auch wieder mit Angriffen, das hat sich irgendwie vermischt. Die Biennale 1962, da waren wir ja noch junge Leute. Und das hat in Deutschland mehr Negatives hervorgerufen, als positives. In Deutschland war man ja so, wenn einer Erfolg hatte, dann durfte das nicht sein, dann suchte man krampfhaft, nach etwas zum herummäkeln. Das sind die Franzosen ganz anders, die unterstützen ihre Künstler.
1962 zieht das Paar nach Paris. Damals die wichtigste Kunstmetropole Europas. Die Begegnung und Auseinandersetzung mit Künstlern wie Alberto Giacometti oder Serge Poliakoff schraubt die eigenen Ansprüche nach oben, beeinflusst den eigenen Stil aber nur wenig. Die erste Großskulptur im öffentlichen Raum realisiert das Bildhauerpaar dann 1963, eine Auftragsarbeit für das Institut für anorganische Chemie der Freien Universität in Berlin-Dahlem. Ein halbes Jahr arbeiten die Künstler in der Firmenhalle von Borsig in Berlin. Lernen professionell Schweißen und die souveräne Verarbeitung von Unmengen an Metall. Die Skulptur, die entsteht, ist fast 5 Meter hoch und wird „Scientia“ getauft.
Brigitte: Jeden Morgen um dreiviertelsieben anfangen, denn das war, was die Arbeiter als erstes gesagt haben: Wir fangen um dreiviertelsieben an. Und da sahen wir uns an und wussten, dass wir hier keinen Fuß auf dem Boden bekommen, wenn wir das nicht auch machen. Und das hat sich auch wirklich bewährt, dieses System, denn wir waren mit einigen auch richtig befreundet, und ich glaube, wir haben da auch eine Art Pionierarbeit geleistet, weil einige der Arbeiter sind dann doch mal ins Museum gegangen, aufgrund von Unterhaltungen mit uns und haben dann doch Gefallen daran gefunden, nachdem sie uns anfangs mit ziemlich viel Misstrauen beobachtet haben. Das hat sich total gewandelt am Ende der sechs Monate, und es hat uns auch sehr viel Spaß gemacht.
Zielstrebigkeit und Geschick beweisen Matschinsky-Denninghoffs auch im Umgang mit Galeristen und Auftraggebern. Die Künstler als Geschäftsleute: hart verhandelnd, mit dem unbedingten Willen, sich durchzusetzen. Vor allem in den 70er Jahren – das Paar ist mittlerweile nach Berlin gezogen -, können so weitere bedeutende Großskulpturen entstehen. Darunter eine am Bodensee direkt auf dem Sipplinger Berg und eine andere auf dem Gelände des ZDF in Mainz Lerchenberg. Beide Skulpturen aus glattem, glänzenden Chromnickelstahl greifen weit in die freie Landschaft hinein und setzen eine „Landmarke“ in die Natur, wie dann auch eine der Skulpturen heißt. Es sind monumentale, kraftvoll geschwungene Formen, die dennoch behutsam auf die natürliche Umgebung reagieren, ohne sie zu entwerten. Professor Jörn Merkert, Kunsthistoriker und Direktor der Berlinischen Galerie, bewundert das bildhauerische Werk von Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff:
Jörn. Merkert: Diese Form der Bildhauerei, die sie sich erarbeitet haben mit der Methode, Stahlrohre aneinander zuschweißen und zu bündeln, erlaubt ihnen, was man normalerweise in der Skulptur nicht kann, visuell Schwerkraft zu überwinden, jegliche noch so gewundene Form zu machen, das können Sie mit gebogenen Blechen nie hinkriegen, allein dieser Prozess so ein Stahlrohrbündel aufzubauen, hat etwas Organisches und erlaubt eine Ausdruckssprache, die ich von keiner anderen bildhauerischen Position herkenne. Sie haben ja wenig damit zutun, was die ganzen Bildhauerei-Entwicklungen als Spätfolge von Popart betrifft Das interessiert sie aber auch nicht. Das war nie ihr Punkt. So wie Jeff Koons oder die Verkitschung von Arbeiten. Aber in der Tradition von Bildhauerei, angedeutet mit Giacometti, Henry Moore und Antoine Pevsner, da sich in eine Familie zu begeben und trotzdem etwas neues und wirklich noch nie Gesehenes zu schaffen, das ist schon etwas außergewöhnliches, das nenne ich klassisch schön, aber auch: Verwandlung.
Vier Rohrbündel aus Chromnickelstahl, baumstammdick und fast acht Meter hoch. Sie winden sich nach oben und streben aufeinander zu, um sich in der Höhe zu umschlingen, allerdings ohne sich zu berühren. Die Skulptur „Berlin“. Sie steht im Herzen der Hauptstadt auf der Tauentzienstraße und ist das bekannteste Kunstwerk von Matschinsiky-Denninghoffs, entstanden 1987. Volker Hassemer, zu jener Zeit Senator für kulturelle Angelegenheiten, hatte sich für mehr Kunst im öffentlichen Raum engagiert. Zur 750 Jahrfeier der Stadt Berlin richtete er deshalb einen „Skulpturen-Boulevard“ ein. Acht Bildhauer von internationalem Rang wurden eingeladen, am Kurfürstendamm an einem Ort ihrer Wahl eine Skulptur zu errichten, die dann vorübergehend dort stehen sollte. Darunter auch Matschinsky-Denninghoffs in der Nähe des Europacenters.
Martin: Wir wohnen ja zehn Minuten von dieser Stelle, da haben wir heute noch unseren ersten Wohnsitz, in der Grainauer Straße, so dass wir diese Gegend relativ gut kannten. Und wir haben immer festgestellt, dass von der Gedächtniskirsche bis zum Wittenbergplatz die Tauentzienstraße keine allzu interessante Straße ist. (Brigitte) Ja, Wir fanden, da fehlt was. Und wir fanden auch, dass die ganze Straße in ihren Proportionen nicht ganz stimmte. Während am Kurfürstendamm ist genug los. Wir hatten schon Angst, dass andere Kollegen auch auf den Gedanken kamen, der Tauentzien ist der richtige Ort, um dort was hinzustellen. Aber zum Glück für von uns ist keiner auf die Idee gekommen, die wollten alle auf den Kurfürstendamm. Wir haben mehrere Entwürfe gemacht. Drei verschiedene, wo wir die Rohrbündel in der Stärke verändert haben, Bis wir den Eindruck hatten, so stimmen die Poportionen. Wir hatten das Gefühl, wir machen ein großer Tor an dieser Stelle, durch das man hindurchspazieren gehen kann und nachher, als der Entwurf fertig war, stellte sich heraus, dass wir ein Symbol für die politische Situation in Berlin geschaffen hatten.
Jörn Merkert war damals in der Projektkommission des „Skulpturen-boulevards“:
Jörn Merkert: Ich glaube, das diese Skulptur, dort wo steht, wie sie steht, wirklich das hatte und hat, was man eigentlich dann auch erwartet, eine Setzung, und nicht nur eine abgesetzte Skulptur, sondern eine Setzung, die der Stadt etwas hinzufügt, oder einen Stadtraum artikuliert, und dadurch eine Torsituation geschaffen ist oder auch eine Rahmung aus bestimmten Perspektiven und das mit natürlichen Formen und dann auch noch ganz unübersehbar, wie da zweiähnliche Teilen aufeinander zuwachsen, und mit dem Titel „Berlin“ war das dann auch für jeden nachvollziehbar, was der symbolische Gehalt der Skulptur ist.
Der Skulpturenboulevard war damals bei den Berlinern heftig umstritten. Vor allem der Bildhauer Wolf Vostell stieß mit seiner Arbeit am Rathenauplatz – zwei Cadillacs stecken kopfüber in einem Betonklotz – auf Ablehnung. Die Skulptur „Berlin“ hingegen wurde so positiv aufgenommen, dass sie später die Deutsche Bank erwarb und deshalb heute immer noch am Kurfürstendamm steht. Längst gilt sie – neben der Gedächtniskirche – als das „Wahrzeichen Berlins“ und ist ein strapaziertes Fotomotiv für Touristen. Wie aber erreichen Matschinsky-Denninghoffs mit ihren Skulpturen, eine solche breite Zustimmung – was für moderne, abstrakte Kunst im allgemeinen, für Bildhauerei vollends ungewöhnlich ist?
Jörn Merkert: Auch wenn sie aus Edelstahl sind, in ihrer Formensprache sind sie doch so sehr natürlich wie Bäume oder dem Wachstum verwandt, so dass die Menschen einen sehr viel einfacheren Zugang finden, auch wenn sie sie nicht interpretieren oder erklären können, warum sie eine Skulptur denn mögen oder nicht. Aber ich glaube, dass auch bei anderen Skulpturen immer wieder zu beobachten. Da gibt es eine schöne Anekdote in Augsburg. Da war erst die ganze Bevölkerung dagegen, als im Rahmen einer Ausstellung eine große Außenskulptur aufgestellt wurde und dann hat sich eine Gruppe von Bürgern zusammen gefunden, die das gerne erhalten wollten in der Stadt und haben Geld gesammelt und über diesen Diskussionsprozess, ob man die jetzt kaufen kann oder nicht, hat es einen förmlichen Aneignung der Skulptur durch die Bevölkerung gegeben.
Brigitte: Wir haben es sehr gerne, wenn Leute unsere Skulpturen anfassen. Erstens schadet es den Skulpturen nicht, und es kommt noch dieses Gefühl von Wirklichkeit hinzu, dass man nicht hat, wenn man nur die Augen benutzt.
Martin: Vor ein paar Jahren. Auf der hiesigen Nationalgalerie, auf der einen Ecke steht eine große Skulptur von uns. Und da komme ich mal vorbei und da saß eine ganze Schulklasse auf der Skulptur drauf. Und ich habe mich richtig gefreut. Der Lehrer hat sich noch entschuldigt. Macht ja nichts, habe ich da gesagt, da wird die sauber, muß man sie nicht mehr putzen, die tun das mit ihrem Hosenboden, die rutschen darauf herum..
Brigitte: Wir haben uns viel damit beschäftigt und darüber nachgedacht über die Tatsache, dass Bildhauerei für viele Betrachter, die guten Willens sind und sich für Kunst interessieren, schwieriger wahrzunehmen ist als Malerei, und ich glaube, da gibt es verschiedene Gründe. Unsere Sehgewohnheiten sind auf zwei Dimensionen eingestellt Wir schauen Bilder an, wir schauen Bücher an, wir schauen Fernsehen. Alles spielt sich in zwei Dimensionen ab. Das hat unser Wahrnehmungsvermögen etwas verfälscht. Während in sogenannten primitiven Kulturen spielt die Bildhauerei die Hauptrolle.
Martin: Während bei uns schon in der Erziehung, das kleine Schuldkind das Alphabet auf dem Papier schreiben lernt, also nur zweidimensional Und so geht es weiter, bis dann endlich einmal die dritte Dimension dazukommt, das ist im Erziehungswesen schon ein Glücksfall. Da muss der junge Mensch selber etwas dazu tun. Das ist bei den Urvölkern – das ist jetzt keine Wertung – anders, die haben ihr Holz, ihre Baumstämme, ihre Materialien zur Verfügung und schnitzen daraus de Formen und haben weniger Papier. Das ist der umgekehrte Vorgang.
Martin Matschinsky ist 81, seine Frau Brigitte heute 80 geworden. Journalisten begegnen sie durchaus mit Argwohn. Vor zehn Jahren haben sie in Schönfeld, einem Dorf an der Havel, zwei Autostunden von Berlin entfernt, ein Gehöft erworben. Die 200 Jahre alten Häuser und Stallungen sind zu großzügigen Wohn- und Arbeitsräumen mit einem imposanten Dachatelier und angrenzenden kleineren Wohnungen umgebaut. Jeden Sommer entsteht hier, an ihrem Zweitwohnsitz, eine neue Großskulptur, die dann im dazugehörigen weiträumigen Park aufgestellt wird. Das Spätwerk. Ein gutes Dutzend ihrer Skulpturen stehen bereits dort. Arbeiten von anderen Künstlern sucht man hier vergebens. Ebenso im Haus. Überall nur Werke von Matschinsky-Denninghoffs. Wie in einem Museum. Zwei Menschen. Ein Mikrokosmos.
Martin: Wir sind zu zweit. Ich sag immer, wenn ich mal faul bin, oder keine Lust habe, dann sag ich, ja Brigitte ist da, dann macht die was. Oder umgekehrt. Daß man sich dann zu zweit immer wieder aus einem Tal herauslösen kann. Das ist der Vorteil der Zweierarbeit.
Brigitte: Und es ist ja auch so, dass die Idee zu einer neuen Skulptur allmählich entsteht. Und sie nicht plötzlich vor dem inneren Auge komplett fertig da ist. Man hat so eine vage Vorstellung und darüber kann man sprechen miteinander und dann sagt der andere: Ja, und wenn man ein bisschen mehr so machen würde? Auch wenn man allein wäre, würde sich die Idee ja langsam weiter entwickeln, bis man überhaupt ins Atelier geht und anfängt.
Jörn Merkert: Ich denke sie sind einerseits sehr gegensätzlich. Brigitte ist die stillere, ständig reflektierende, während Martin der impulsivere, und der schnellere. manchmal auch ungeduldigere ist. Martin macht lieber. Ist immer von einer großen Arbeitsbesessenheit geprägt. ….. Aber ich kann nicht sagen, dass Martin Brigitte mitzieht Das ist wie Ying und Yang, das ergänzt sich. Martins Impulsivität wird etwas gebremst und Brigittes Bedachtsamkeit wird durch Martin immer wieder verlebendigt.
Jörn Merkert, Direktor der Berlinischen Galerie. Das Landesmuseum der Stadt verfügt schon lange über einen repräsentativen Ausschnitt des Gesamtschaffens von Matschinsky-Denninghoff. Neben den Skulpturen auch Zeichnungen und Malereien. Das so symbiotische, kinderlose Künstlerpaar, das keine Schüler herangezogen hat, drückt sich höchst unterschiedlich aus: Martin Matschinsky malt eher expressiv, in wirbelnden Formen und oft sehr farbig. Brigitte Matschinskys Papierarbeiten hingegen sind zurückhaltender, kontrollierter, leiser auch. Vor zwei Jahren hat das Land Berlin nochmals sieben Skulpturen und andere Arbeiten der Künstler gekauft. Im Gegenzug vermachten Matschinsky-Denninghoffs dem Land ihren gesamten Nachlass. Er soll nach ihrem Tod unter Federführung der Berlinischen Galerie in eine unselbständige Stiftung umgewandelt werden. Zu dem Nachlass gehört auch das Anwesen in Schönfeld. Hier sollen einmal Ateliers für Künstlers entstehen, der Bildhauerei eine Zukunft gegeben werden.
Martin: Warum wird man Künstler, warum wird Bildhauer, warum wird man Maler, das sind schwierige Fragen (…..) das muß alles von innen heraus kommen, das muß wachsen, das muß sich entwickeln, das muß man feststellen, deshalb kann man das erst nach sehr langer zeit wissen, ob das, was man macht, richtig ist und berechtigt ist.
Brigitte: Ich würde auch allen jungen Menschen, die sich überlegen Künstler werden sollen, sagen, solange sie noch überlegen, sollen sie es bleiben lassen, denn wenn es für sie noch eine andere Möglichkeit gibt, sich selbst zu verwirklichen – wie man heutzutage so schön sagt – dann sollen sie es auf eine andere Weise tun. Künstler zu werden, macht nur Sinn, wenn man das Gefühl hat, man muß das machen, man möchte absolut nichts anderes machen als das.
Jürgen Bräunlein
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