Texter, Journalist und Autor Jürgen Bräunlein

Lächelnde Melancholie

Die Unternehmensberaterin Gertrud Höhler

Rheinischer Merkur vom 29.04.2004

Hotelhalle im Kempinski. Zehn Minuten früher als vereinbart. Hochhackige Schuhe klackern. Dann die aschgraue Löwenmähne, das scharfkantige, asketische Konterfei. Die Perlenkette mit den dazu passenden Ohrringen. Der Kellner an der Bar hilft aus dem Mantel. So kennt man sie. Der Auftritt einer Dame. So perfekt, dass sich manche vor ihr fürchten. Kühl sei sie, und ihr Aufstieg zur gefragten Managementexpertin ist heute noch vielen unheimlich. Ihr Plädoyer für eine menschlichere Firmenkultur brachte ihr das Bundesverdienstkreuz ein und den Fairness-Ehrenpreis 2002. Durch meine Qualifikation bin ich praktisch konkurrenzlos, sagt sie selbstbewusst. „Es springen nicht so viele Leute herum, die dasselbe machen wie ich.“

Von der Literaturprofessorin zur hoch dotierten Beraterin. „Es hat sich so ergeben“, sagt Gertrud Höhler. Sofort stellt sich ein Plauderton ein, ihre blauen Augen sind hellwach, Intimität entsteht. Sie erzählt von den späten sechziger Jahren, als sie Assistentin in Mannheim war. „Ich hielt Seminare in Althochdeutsch, und meine Studenten sagten: ,Frau Höhler, wir müssen Sie jetzt raustragen. Männer werfen wir aus dem Fenster, Frauen tragen wir raus.“

Gertrud Höhler, die schon als Studentin tadellos gekleidet war, reagierte, indem sie sich der Soziologie zuwandte und über Themen nachdachte wie Mitarbeitermotivation und Leistungsbereitschaft. Firmenchefs suchten das Gespräch mit ihr. „Ich wäre niemals Ökonomiestudentin geworden“, sagt sie, „ich wollte eigentlich immer in der Welt der Geisteswissenschaft leben.“ Es kam anders. Gertrud Höhler verließ 1993 ihren Lehrstuhl in Paderborn. Studenten und Professoren warfen ihr mangelnde Anwesenheit vor, sie selbst sprach von Mobbing.

Schon ihr erster großer Beraterjob, Ende der achtziger Jahre für die Deutsche Bank, sorgte für Aufsehen. Höhler fand heraus, dass im mittleren Management die Aufstiegschancen von Talenten systematisch gekappt wurden. Menschliche Schwachpunkte aufzudecken, die Unternehmen ruinieren können, ist ihre Mission bis heute. Ihre Lektion: „Wenn du dich nicht veränderst, schwindet deine Macht.“ Die meisten wüssten das, aber eben nur intellektuell. „Sich das emotional zu Eigen zu machen ist die andere Frage.“ Bei diesem Thema ist Gertrud Höhler in ihrem Element. Mal hat sie die Arme verschränkt, mal die Hände gefaltet. Manchmal wird ihre Stimme dabei tief, flüsternd und fast beschwörend.

Geboren wurde Gertrud Höhler vor 63 Jahren in Wuppertal, sie wuchs in ländlicher Idylle auf. Ihr Großvater war Bauer, ihr Vater Pfarrer. „Alle vier Kinder haben studieren können, obwohl wenig Geld da war. Aber meine Eltern haben das nie als Last gesehen. Wir haben ein enormes Familienideal mit ins Leben genommen. Auch die Botschaft, keinem modernen Schnickschnack auf den Leim zu gehen.“

Gertrud kennt die Bibel aus dem Effeff, wie ihre spätere Promotion über Bibelzitate bei Wilhelm Raabe beweisen sollte, und lernte Klavier. Ihr Trauminstrument war die Querflöte. Deshalb spielte sie samstags bei Trauungen und Taufen Orgel. „Da kriegte man immer zehnMark. Die habe ich in einen Briefumschlag gesteckt, davon habe ich meine Flöte gekauft.“ Erinnerungen, die prägen. „Wir haben es auch noch richtig erlebt, dass man Hunger hat jeden Tag. Das beflügelt die Gedanken“, sagt sie lächelnd.
Auch auf den Covern ihrer Bücher lächelt sie, aber unnahbar und kühl. „Der Verlag will das so“, sagt sie. Im Gespräch lächelt Gertrud Höhler oft, doch Hier schleichen sich mädchenhafte Züge in ihr Gesicht.
1967 war das wahrscheinlich einschneidendste Jahr in ihrem Leben. Die Germanistin, die gerade promovierte, brachte ihren Sohn Abel zur Welt. Ein uneheliches Kind. Man wies ihr eine Jugendamtsfrau zu, die zu prüfen hatte, ob der Junge unter menschenwürdigen Bedingungen aufwächst. Jahre der sozialen Ächtung. Die Mutter fühlte sich „wie eingekerkert und unendlich einsam.“ Gertrud Höhlers Stimme wird tonlos: „Es war auch schwierig, weil meine Familie diese Entscheidung nicht akzeptiert hat.“ Sie schweigt und sagt: „Bitter.“

An dem „Fehltritt“ wird die mehrfach geförderte Wissenschaftlerin noch Jahre später gemessen. Etwa 1988, als sie auf Wunsch von Helmut Kohl das Familienministerium von Rita Süssmuth übernehmen sollte. „Damals hat Rita Süssmuth das Ihrige getan, um das zu verhindern“, stellt Gertrud Höhler fest. „Die Frauen aus der CSU, die ich ansonsten sehr schätze, gaben Interviews, dass es doch das Allerletzte sei, wenn eine Frau mit einem unehelichen Kind Familienministerin wird.“

Die Verletzung wird hörbar, auch wenn sie abwiegelt: „Ich fand’s einfach nur unglaublich heuchlerisch.“ Ihre Stimme wird noch eindringlicher: „Meine Ehrfurcht vor dem Leben war so groß, dass ich nicht imstande war, es auszulöschen. Du darfst Leben nicht vernichten. Das darf man nicht!“

Heute ist ihr mittlerweile 36-jährige Sohn, der in München lebt, neben der Arbeit der Mittelpunkt in ihrem Leben. „Ich bin so dankbar, dass das Kind in mein Leben geknallt ist. Wir haben ein fast konspiratives Verhältnis, sind an den gleichen Dingen interessiert, telefonieren täglich. Er ist mein klügster Gesprächspartner.“ Wer hätte das gedacht: Im eleganten Deux-Pièces steckt ein großes Gluckenherz.

Dass die konservative Intellektuelle mit der CDU-Mitgliedschaft nie ein politisches Amt innehatte, scheint sie entgegen anders lautenden Gerüchten nie bereut zu haben. „Ich hatte mir immer überlegt, was ich an Unabhängigkeit verlieren würde. Und das schien mir zu groß.“

Bei der aktuellen Reformpolitik der Regierung ist sie skeptisch: „Niemand sagt uns, warum es sich lohnt, durch diese Durststrecke zu gehen. Aber wir haben einen Anspruch darauf, eine Vision von denen zu hören, die uns etwas wegnehmen.“ In Deutschland erkenne keiner mehr, warum es lohnenswert sei, sich Mühe zu geben. „Das müsste mal beschrieben werden. Das müssten Präsidenten beschreiben.“

Überhaupt die anstehende Präsidentschaftswahl. Da kommt die eloquente Dame in Fahrt, greift nach der Büroklammer auf dem Tisch und verbiegt sie. Ihre Augen blitzen: „Wissen Sie eigentlich, dass bis zum 23. Mai jedes Mitglied der Bundesversammlung weitere Kandidaten vorschlagen kann? Wir hätten also ein ziemlich spannendes Geschehen, wenn nicht die Parteien dafür sorgen würden, dass keiner etwas davon erfährt.“

Gertrud Höhler ist rastlos. Eine Talkshow auf n-tv, eine Rede auf dem Wissensforum der „Süddeutschen Zeitung“ in München, eine Laudatio für den Fernsehjournalisten Guido Knopp in Aschaffenburg, dazwischen Vorstandssitzungen und publizistische Beiträge. Der Terminkalender ist voll. Doch es klingt, als sei es immer noch nicht genug, wenn sie auf einen Kollegen verweist: „Ich bin überzeugt, der macht viel mehr als ich.“

Stillhalten ist nichts für sie. Faulenzen auch nicht. Noch bei den TV-Nachrichten wuchtet sie die Hanteln und hat zu Hause im Grunewald eine Ruderanlage installiert, um ihre Schultern zu stählen. Die Aktenkoffer, die die Unternehmensberaterin durch Konzernhäuser in Deutschland, der Schweiz oder auch England tragen muss, drücken aufs Kreuz. Manches Material ist so brisant, erklärt die zierliche Frau, dass man es nicht aus der Hand geben kann.

Woher kommt der Bienenfleiß? Die Disziplin? Vom protestantischen Elternhaus? „Es wurde dort nicht viel gelobt“, gibt sie zu. „Ich glaube, es gab die Vorstellung, wenn man einem Menschen sagt, dass er prima ist, dass ihm das zu Kopfe steigt.“

Vielleicht gibt ihr das Dasein als Workaholic jene gesellschaftliche Anerkennung zurück, die man ihr einst verwehrt hat: „Ich habe die Grundmelancholie, die wohl jeder Mensch hat, der viel versteht. Ich kämpfe ständig gegen die Traurigkeit an.“

In ihren Büchern und Vorträgen propagiert sie jedoch vor allem eines: die Wirkungsmacht der Zuversicht. Das sei kein Widerspruch, sagt sie. Sie spüre Euphorie bei ihren Vorträgen, weil sie sich ja sehr sorgfältig vorbereite und sich selbst begeistern könne. Doch die Befriedigung dabei halte nicht lange vor. Unentwegt schreibt sie Bücher, 17 Werke seit 1978.

Ihre jüngste Publikation beschäftigt sich mit dem Wert des Vertrauens. „Die ganze Yellow Press lebt von Vertrauensbrüchen und vom Verrat. Ehepartner verraten sich gegenseitig. Es ist unwürdig auch für die Verräter. Da möchte ich nicht dabei sein.“ Den Namen des Vaters ihres Kindes hat sie bis heute nicht preisgegeben.

Die Wohlorganisierte weigert sich, die nächsten Jahre zu verplanen. „Ich finde es richtig hybrid, Termine für ein Jahr zu machen, wo man gar nicht weiß, ob man noch da ist.“ So spricht die Protestantin. Eine Frage beschäftigt sie: „Werde ich noch jung sein, wenn ich älter bin?“ Nachdenklich antwortet sie sich selbst: „Da haben Menschen, die außerhalb der üblichen Lebensform leben, eine größere Chance als Menschen, die in einer Familie nur auf eine bestimmte Rolle festgelegt werden.“

Jürgen Bräunlein

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